Stereosehen

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Schielen

Vier übergeordnete Gruppen:
Begleit-, Lähmungs-, Latentes und Scheinbares Schielen


Allgemeines

"Mit 'Schielen' im weitesten Sinne bezeichnet man eine Abweichung der Sehachsen. Sie schneiden sich nicht im Fixierpunkt, sondern bilden auch beim Blick in die Ferne einen Schielwinkel miteinander.
Im engeren Sinne bezeichnet man mit 'Schielen' das Begleitschielen (Strabismus concomitans)."

Leydhecker, W.: Augenheilkunde. Springer, Berlin 1990, Seite 219
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a) Fehlendes Stereosehen

Schielformen, die mit der Problematik verbunden sein können, dass das Stereosehen fehlt.

Begleitschielen

Synonyme:

  • manifestes Schielen
  • manifester Strabismus
  • konkomitierendes Schielen (konkomitare = begleiten)
  • konkomitierender Strabismus
  • Strabismus concomitans
  • Heterotropie

Allgemeine Eigenschaften:

  • Schielwinkel ist in allen Blickrichtungen praktisch gleich groß.
  • Je nach Fachbuch tritt Begleitschielen bei 60 bis 80 Prozent aller Betroffenen vor Abschluss des 2. Lebenjahres auf.
  • keine Doppelbilder
  • Hat sich das Sehvermögen zunächt normal entwickelt und tritt das Begleitschielen z. B. erst im vierten Lebensjahr - diese Form des Begleitschielens nennt man in der Augenheilkunde normosensorisches Spätschielen - ein, kann es in den ersten Tagen nach Beginn dieser Form des Begleitschielens charakteristischerweise zum Auftreten von Doppelbildern kommen.
  • Je nach Literaturquelle ist bei 4 bis 7 Prozent der Bevölkerung Begleitschielen vorhanden. Am meisten wird für die Häufigkeit des Begleitschielens ein Wert von ca. 5 Prozent angegeben.
  • Typischerweise ist Stereosehen - im Sinne eines negativen Resultates beim augenärztlichen Bagolini-Lichtschweiftest, also im Sinne einer Exklusion - in vielen Fällen von Begleitschielen nicht vorhanden. Bei weiteren Formen des Begleitschielens wird von den betroffenen Personen der Bagolini-Lichtschweiftest zwar bestanden, aber dennoch ist die Qualität des Stereosehens mittelmäßig oder stark herabgesetzt. Beispiel: Versagen beim Stereosehen
  • Fehlendes Stereosehen durch frühkindliches Begleitschielen ist bei Volljährigen irreversibel, also lebenslang nicht mehr therapierbar.

Einseitiges Begleitschielen

Synonyme:

  • einseitiges Schielen
  • einseitiger Strabismus
  • einseitige Heterotropie
  • monolaterales Schielen
  • monolateraler Strabismus
  • monolaterale Heterotropie
  • unilaterales Schielen
  • unilateraler Strabismus
  • unilaterale Heterotropie

Spezielle Eigenschaften:

  • Es schielt ständig ein und dasselbe Auge.
  • Gefahr einer Amblyopie bzw. einer lebenslangen Blindheit beim schielenden Auge.
  • Bei Schielwinkeln nicht größer als 5 Grad spricht man von kleinen Schielwinkeln oder auch vom Mikrostrabismus bzw. vom Mikroschielen. Wegen kosmetischer Unauffälligkeit ist Mikrostrabismus heimtückisch. Wird beim einseitigen Begleitschielen ein kleiner Schielwinkel nicht rechtzeitig, sondern viel zu spät z. B. erst nach mehreren Jahren bei der Einschulung, entdeckt, kann es sein, dass eine Schielschwachsichtigkeit bzw. eine Amblyopie, die sich inzwischen entwickelt hat, nicht mehr heilbar ist und mit bleibenden Schäden auf dem schielenden Auge gerechnet werden muss.
    Mikrostrabismus kann zu einer bleibenden Amblyopie mit einem Visus schlechter als 0,1 führen. Amblyopie bei Mikrostrabismus
    Anmerkung: In der bundesdeutschen Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gilt der Visus 1,0 als nicht beeinträchtigte Sehschärfe.

Weitere Eigenschaften:

  • siehe weiter oben: alle Eigenschaften, die unter der Überschrift "Allgemeine Eigenschaften" aufgelistet sind.

Alternierendes Begleitschielen

Synonyme:

  • alternierendes Schielen
  • alternierender Strabismus
  • alternierende Heterotropie
  • wechselseitiges Schielen
  • wechselseitiger Strabismus
  • wechselseitige Heterotropie

Spezielle Eigenschaften:

  • Im zeitlichen Wechsel schielt mal das rechte Auge und mal das linke Auge. Die Häufigkeit des Schielens ist bei beiden Augen ungefähr gleich.
  • Im Allgemeinen keine Gefahr einer Amblyopie bzw. keine Gefahr einer Schwachsichtigkeit. "Die Schielschwachsichtigkeit entsteht also nur bei Strabismus concomitans unilateralis. Bei abwechselndem Schielen (Strabismus alternans) entsteht keine Schwachsichtigkeit, da die Augen im Abstand von wenigen Minuten abwechselnd fixieren und so im Sehen geübt werden." Leydhecker, W.: Augenheilkunde, 24. Auflage, Springer, Berlin 1990, Seite 220

Weitere Eigenschaften:

  • siehe weiter oben: alle Eigenschaften, die unter der Überschrift "Allgemeine Eigenschaften" aufgelistet sind.

Größte Gefahr:

  • Bei einseitigem Begleitschielen im Kleinkindalter besteht die Gefahr einer Amblyopie bzw. einer lebenslangen Blindheit auf dem schielenden Auge.
    Amblyopie

verwendete Literatur:

  • Grehn, F.: Augenheilkunde. Springer, Heidelberg 2012, Kapitel Schielen bzw. Seite 384 - 400
    Bibliothek
  • Sachsenweger, M.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Kapitel Motilitäts-störungen bzw. Seite 375 - 411
    Bibliothek
  • Sachsenweger, M.: Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, gesamtes Büchlein
    Bibliothek

b) Vorhandenes Stereosehen

Schielformen, bei denen das Stereosehen im Allgemeinen vorhanden ist.

Lähmungsschielen

Synonyme:

  • Strabismus paralyticus
  • Strabismus incomitans

Eigenschaften:

  • Beim Menschen werden das rechte und das linke Auge von jeweils sechs einzelnen Augenmuskeln bewegt. Liegt die Lähmung eines Augenmuskels oder mehrerer Augenmuskeln vor, spricht man vom Lähmungsschielen. Die teilweise Lähmung eines Augenmuskels nennt man Parese. Die vollständige Lähmung eines Augenmuskels nennt man Paralyse.
  • Beim Lähmungsschielen ist die Größe des Schielwinkels in allen Blickrichtungen nicht gleich, sondern unterschiedlich bzw. abhängig von der Blickrichtung. In Zugrichtung des gelähmten Muskels ist der Schielwinkel am größten. In entgegengesetzter Richtung, in welcher dieser gelähmte Muskel nicht beansprucht wird, ist der Schielwinkel sehr klein oder verschwindet.
  • Ist z. B. nur ein Augenmuskel gelähmt und treten nur in der Zugrichtung bzw. in der Blickrichtung dieses einen Augenmuskels störende Doppelbilder auf, so versucht die betroffene Person in der Regel diese Blickrichtung zu vermeiden und durch eine Kopfbewegung auszugleichen. Diese beim Lähmungsschielen häufige bzw. typische Kopfbewegung nennt man auch Kopfzwanghaltung, kompensatorische Kopfhaltung oder okularer Schiefhals.
  • Liegt der Fall vor, das ein Erwachsener mit normalem Augenlicht bzw. mit normal ausgeprägtem Stereosehen an einem Lähmungsschielen erkrankt und nur ein Augenmuskel betroffen ist und dieser einzelne Augenmuskel vollständig gelähmt ist, so ist das Sterosehen in Zugrichtung bzw. Blickrichtung dieses gelähmten Augenmuskels durch Doppelbilder gestört, in den anderen Blickrichtungen, in denen dieser gelähmte Augenmuskel nicht beansprucht wird, ist das Stereosehen aber vorhanden bzw. normal.
  • Das Lähmungsschielen kann mit einer Beeinträchtigung des beidäugigen Blickfeldes verbunden sein beispielsweise wenn das rechte Auge wegen einer Augenmuskellähmung nicht in der Lage ist, nach rechts zu sehen.
    Das beidäugige Blickfeld ist der Bereich der Außenwelt, den man bei ruhiger Kopf- und Körperhaltung, aber maximalen Blickbewegungen der beiden Augen sehen kann. Das beidäugige Gesichtsfeld ist der Bereich der Außenwelt, den man bei ruhiger Kopf- und Körperhaltung und ruhiggestellten Augen und beim Blick nach geradeaus sieht. Beim Menschen beträgt das beidäugige Blickfeld etwa 240 Grad und das beidäugige Gesichtsfeld etwa 180 Grad.
  • Lähmungsschielen ist häufiger bei Erwachsenen und seltener bei Kindern anzutreffen.

verwendete Literatur:

  • Grehn, F.: Augenheilkunde. Springer, Heidelberg 2012, Seite 407
    Bibliothek
  • Sachsenweger, M.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Seite 392
    Bibliothek
  • Sachsenweger, M.: Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 45 - 50, 55
    Bibliothek

Latentes Schielen

Synonyme:

  • Heterophorie (nicht: Heterotropie)
  • verstecktes Schielen
  • verborgenes Schielen

Eigenschaften:

  • Die im Gehirn bei normalen Sehvermögen erfolgende Verrechnung des linksäugigen Bildes und des rechtsäugigen Bildes zu einem gemeinsamen Bild bzw. zu einem Stereobild nennt man Verschmelzung oder auch Fusion.
    In der Fachliteratur wird die Heterophorie als Ungleichgewicht der Augenmuskeln beschrieben, das von der Fusionskraft wieder ausgeglichen wird. Einerseits bedeutet latentes Schielen, dass bei ungestörter Fusion die Sehachsen der beiden Augen beim Blick in die Ferne parallel stehen und, soweit keine zusätzlichen Anomalien vorliegen, normales Stereosehen vorhanden ist. Andererseits bedeutet latentes Schielen, dass bei Unterbrechung der Fusion die Sehachsen der beiden Augen beim Blick in die Ferne von der Parallelstellung abweichen, also z. B. konvergieren oder divergieren.
    Bei starkem Stress, Alkoholgenuss, schlechtem Allgemeinzustand oder ähnlichen Situationen kann es zu Beeinträchtigungen der Fusion kommen, mit der Folge, dass Störungen wie Doppelbilder, Kopfschmerzen, Lichtscheu oder ähnliche Beeinträchtigungen auftreten können. Diese Störungen nennt man asthenopische Beschwerden.
  • Eine Heterophorie ohne Beschwerden nennt man Normophorie, also Gesundheit.
  • Eine Heterophorie mit Beschwerden nennt man Pathophorie, also Krankheit.
  • Bei 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung liegt eine Heterophorie bzw. latentes Schielen vor.
  • 7 bis 10 Prozent der Bevölkerung klagen über asthenopische Beschwerden.

Anmerkungen:

  • "Der Begriff 'Winkelfehlsichtigkeit' wird in der wissenschaftlichen Augenheilkunde nicht verwendet und ist sachlich falsch, weil es sich beim latenten Schielen in den meisten Fällen um eine Normvariante und eine Laune der Natur handelt, die keinen Krankheitswert besitzt." Sachsenweger, M.: Hilfe mein Kind schielt!, Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 52
  • "Auf keinen Fall ist das Schielen mit 'verstecktem' Schielwinkel jedoch für die Legasthenie verantwortlich zu machen. ... Da die Augen selbst mit der Legasthenie nichts zu tun haben, ist es auch falsch und völlig überflüssig, wenn einem Kind in diesem Zusammenhang Prismenbrillen angepasst werden." Sachsenweger, M.: Hilfe mein Kind schielt!, Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 52, 53

verwendete Literatur:

  • Grehn, F.: Augenheilkunde. Springer, Heidelberg 2012, Seite 407
    Bibliothek
  • Sachsenweger, M.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Seite 392
    Bibliothek
  • Sachsenweger, M.: Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 45 - 50, 55
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Scheinbares Schielen

Synonyme:

  • Pseudo-Strabismus

Eigenschaften:

  • Beim scheinbaren Schielen liegt keine Abweichung vom normalen Sehvermögen vor. Ein eventueller Sehschaden ist beim scheinbaren Schielen also nicht vorhanden.
  • Scheinbares Schielen ist ein kosmetisches Problem. Ursache für dieses kosmetische Problem kann z. B. ein breiter Nasenrücken oder eine Hautfalte am Oberlid eines Auges sein, die man in der Fachsprache Epikantus nennt. Mitunter wird in Fachpublikationen für die Bezeichnung Epikanthus auch der Ausdruck Mongolenfalte verwendet.

Aufmerksamkeit dennoch notwendig:

  • Die Diagnose eines scheinbaren Schielens beinhaltet die Information, dass das Augenlicht normal funktioniert, also eine eventuelle Abweichung vom normalen Sehvermögen erfeulicherweise nicht vorliegt.
    Es kann aber sein, dass z. B. bei einem Kind im zweiten Lebensjahr ein scheinbares Schielen diagnostiziert wird und zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. im dritten Lebensjahr, sich bei diesem Kind dennoch ein Begleitschielen mit einer Schielamblyopie bzw. mit einer Sehschwäche entwickelt.
    Die Entwicklung des Sehvermögens während des Kleinkindalters bedarf also auch im Fall von scheinbaren Schielen erhöhter Aufmerksamkeit.

verwendete Literatur:

  • Sachsenweger, M.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Seite 392
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  • Sachsenweger, M.: Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 45 - 50, 55
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