Vier übergeordnete Gruppen:
Begleit-,
Lähmungs-,
Latentes und
Scheinbares Schielen
Allgemeines
"Mit 'Schielen' im weitesten Sinne bezeichnet man eine Abweichung der Sehachsen.
Sie schneiden sich nicht im Fixierpunkt, sondern bilden auch beim Blick in die Ferne einen Schielwinkel
miteinander.
Im engeren Sinne bezeichnet man mit 'Schielen' das Begleitschielen (Strabismus concomitans)."
Leydhecker, W.: Augenheilkunde. Springer, Berlin 1990, Seite 219
Bibliothek
a) Fehlendes Stereosehen
Schielformen, die mit der Problematik verbunden sein können, dass das Stereosehen fehlt.
Begleitschielen
Synonyme:
- manifestes Schielen
- manifester Strabismus
- konkomitierendes Schielen
(konkomitare = begleiten)
- konkomitierender Strabismus
- Strabismus concomitans
- Heterotropie
Allgemeine Eigenschaften:
Einseitiges Begleitschielen
Synonyme:
- einseitiges Schielen
- einseitiger Strabismus
- einseitige Heterotropie
- monolaterales Schielen
- monolateraler Strabismus
- monolaterale Heterotropie
- unilaterales Schielen
- unilateraler Strabismus
- unilaterale Heterotropie
Spezielle Eigenschaften:
- Es schielt
ständig ein und dasselbe Auge.
- Gefahr einer
Amblyopie bzw. einer lebenslangen Blindheit beim schielenden Auge.
- Bei Schielwinkeln
nicht größer als 5 Grad spricht man von kleinen Schielwinkeln oder auch vom Mikrostrabismus bzw.
vom Mikroschielen. Wegen kosmetischer Unauffälligkeit ist Mikrostrabismus heimtückisch. Wird beim
einseitigen Begleitschielen ein kleiner Schielwinkel nicht rechtzeitig, sondern viel zu spät
z. B. erst nach mehreren Jahren bei der Einschulung, entdeckt, kann es sein, dass eine Schielschwachsichtigkeit
bzw. eine Amblyopie, die sich inzwischen entwickelt hat, nicht mehr heilbar ist
und mit bleibenden Schäden auf dem schielenden Auge gerechnet werden muss.
Mikrostrabismus kann zu einer
bleibenden Amblyopie mit einem Visus schlechter als 0,1
führen. Amblyopie bei Mikrostrabismus
Anmerkung: In der bundesdeutschen Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gilt der Visus 1,0 als
nicht beeinträchtigte Sehschärfe.
Weitere Eigenschaften:
- siehe weiter
oben: alle Eigenschaften, die unter der Überschrift "Allgemeine Eigenschaften" aufgelistet sind.
Alternierendes Begleitschielen
Synonyme:
- alternierendes Schielen
- alternierender Strabismus
- alternierende Heterotropie
- wechselseitiges Schielen
- wechselseitiger Strabismus
- wechselseitige Heterotropie
Spezielle Eigenschaften:
- Im zeitlichen
Wechsel schielt mal das rechte Auge und mal das linke Auge. Die Häufigkeit des
Schielens ist bei beiden Augen ungefähr gleich.
- Im Allgemeinen
keine Gefahr einer Amblyopie bzw. keine Gefahr einer Schwachsichtigkeit.
"Die Schielschwachsichtigkeit entsteht also nur bei Strabismus concomitans unilateralis. Bei abwechselndem
Schielen (Strabismus alternans) entsteht keine Schwachsichtigkeit, da die Augen im Abstand von wenigen
Minuten abwechselnd fixieren und so im Sehen geübt werden." Leydhecker, W.: Augenheilkunde, 24. Auflage, Springer,
Berlin 1990, Seite 220
Weitere Eigenschaften:
- siehe weiter
oben: alle Eigenschaften, die unter der Überschrift "Allgemeine Eigenschaften" aufgelistet sind.
Größte Gefahr:
- Bei einseitigem
Begleitschielen im Kleinkindalter besteht die Gefahr einer Amblyopie bzw. einer lebenslangen Blindheit
auf dem schielenden Auge.
Amblyopie
verwendete Literatur:
- Grehn, F.:
Augenheilkunde. Springer, Heidelberg 2012, Kapitel Schielen bzw. Seite 384 - 400
Bibliothek
- Sachsenweger, M.:
Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Kapitel Motilitäts-störungen bzw. Seite 375 - 411
Bibliothek
- Sachsenweger, M.:
Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, gesamtes Büchlein
Bibliothek
b) Vorhandenes Stereosehen
Schielformen, bei denen das Stereosehen im Allgemeinen vorhanden ist.
Lähmungsschielen
Synonyme:
- Strabismus paralyticus
- Strabismus incomitans
Eigenschaften:
- Beim Menschen
werden das rechte und das linke Auge von jeweils sechs einzelnen Augenmuskeln bewegt.
Liegt die Lähmung eines Augenmuskels oder mehrerer Augenmuskeln vor, spricht man vom Lähmungsschielen.
Die teilweise Lähmung eines Augenmuskels nennt man Parese. Die vollständige Lähmung eines Augenmuskels
nennt man Paralyse.
- Beim Lähmungsschielen
ist die Größe des Schielwinkels in allen Blickrichtungen nicht
gleich, sondern unterschiedlich bzw. abhängig von der Blickrichtung. In Zugrichtung des gelähmten Muskels
ist der Schielwinkel am größten. In entgegengesetzter Richtung, in welcher dieser gelähmte Muskel nicht
beansprucht wird, ist der Schielwinkel sehr klein oder verschwindet.
- Ist z. B.
nur ein Augenmuskel gelähmt und treten nur in der Zugrichtung bzw. in der Blickrichtung dieses einen
Augenmuskels störende Doppelbilder auf, so versucht die betroffene Person in der Regel diese Blickrichtung zu
vermeiden und durch eine Kopfbewegung auszugleichen. Diese beim Lähmungsschielen häufige bzw. typische
Kopfbewegung nennt man auch Kopfzwanghaltung, kompensatorische Kopfhaltung oder okularer Schiefhals.
- Liegt der
Fall vor, das ein Erwachsener mit normalem Augenlicht bzw. mit normal ausgeprägtem Stereosehen an einem
Lähmungsschielen erkrankt und nur ein
Augenmuskel betroffen ist und dieser einzelne Augenmuskel vollständig gelähmt ist, so ist das Sterosehen in
Zugrichtung bzw. Blickrichtung dieses gelähmten Augenmuskels durch Doppelbilder gestört, in den anderen
Blickrichtungen, in denen dieser gelähmte Augenmuskel nicht beansprucht wird, ist das Stereosehen aber
vorhanden bzw. normal.
- Das Lähmungsschielen
kann mit einer Beeinträchtigung des beidäugigen Blickfeldes verbunden sein beispielsweise wenn das rechte Auge
wegen einer
Augenmuskellähmung nicht in der Lage ist, nach rechts zu sehen.
Das beidäugige Blickfeld ist der Bereich der Außenwelt, den man bei ruhiger
Kopf- und Körperhaltung, aber maximalen Blickbewegungen der beiden Augen sehen kann. Das beidäugige Gesichtsfeld
ist der Bereich der Außenwelt, den man bei ruhiger Kopf- und Körperhaltung und ruhiggestellten Augen und beim
Blick nach geradeaus sieht. Beim Menschen beträgt das beidäugige Blickfeld etwa 240 Grad und das beidäugige
Gesichtsfeld etwa 180 Grad.
- Lähmungsschielen ist
häufiger bei Erwachsenen und seltener bei Kindern anzutreffen.
verwendete Literatur:
- Grehn, F.:
Augenheilkunde. Springer, Heidelberg 2012, Seite 407
Bibliothek
- Sachsenweger, M.:
Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Seite 392
Bibliothek
- Sachsenweger, M.:
Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 45 - 50, 55
Bibliothek
Latentes Schielen
Synonyme:
- Heterophorie (nicht:
Heterotropie)
- verstecktes Schielen
- verborgenes Schielen
Eigenschaften:
- Die im
Gehirn bei normalen Sehvermögen erfolgende Verrechnung des linksäugigen Bildes und
des rechtsäugigen Bildes zu einem gemeinsamen Bild bzw. zu einem Stereobild nennt man
Verschmelzung oder auch Fusion.
In der Fachliteratur wird die Heterophorie als Ungleichgewicht der Augenmuskeln beschrieben, das von
der Fusionskraft wieder ausgeglichen wird. Einerseits bedeutet latentes Schielen, dass bei ungestörter
Fusion die Sehachsen der beiden Augen beim Blick in die
Ferne parallel stehen und, soweit keine zusätzlichen Anomalien vorliegen, normales Stereosehen vorhanden ist.
Andererseits bedeutet latentes Schielen, dass bei Unterbrechung der Fusion die Sehachsen der beiden Augen beim Blick
in die Ferne von der Parallelstellung abweichen, also z. B. konvergieren oder divergieren.
Bei starkem Stress,
Alkoholgenuss, schlechtem Allgemeinzustand oder ähnlichen Situationen kann es zu Beeinträchtigungen der
Fusion kommen, mit der Folge, dass Störungen wie Doppelbilder, Kopfschmerzen, Lichtscheu oder ähnliche
Beeinträchtigungen auftreten können. Diese Störungen nennt man asthenopische Beschwerden.
- Eine Heterophorie
ohne Beschwerden nennt man Normophorie, also Gesundheit.
- Eine Heterophorie
mit Beschwerden nennt man Pathophorie, also Krankheit.
- Bei 70
bis 80 Prozent der Bevölkerung liegt eine Heterophorie bzw. latentes Schielen vor.
- 7 bis
10 Prozent der Bevölkerung klagen über asthenopische Beschwerden.
Anmerkungen:
- "Der Begriff
'Winkelfehlsichtigkeit' wird in der wissenschaftlichen Augenheilkunde nicht verwendet und ist sachlich
falsch, weil es sich beim latenten Schielen in den meisten Fällen um eine Normvariante und eine Laune der Natur
handelt, die keinen Krankheitswert besitzt." Sachsenweger, M.: Hilfe mein Kind schielt!, Verlag Gesundheit,
Berlin 1998, Seite 52
- "Auf keinen
Fall ist das Schielen mit 'verstecktem' Schielwinkel jedoch für die Legasthenie verantwortlich zu machen. ... Da
die Augen selbst mit der Legasthenie nichts zu tun haben, ist es auch falsch und völlig überflüssig, wenn
einem Kind in diesem Zusammenhang Prismenbrillen angepasst werden." Sachsenweger, M.: Hilfe mein Kind schielt!,
Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 52, 53
verwendete Literatur:
- Grehn, F.:
Augenheilkunde. Springer, Heidelberg 2012, Seite 407
Bibliothek
- Sachsenweger, M.:
Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Seite 392
Bibliothek
- Sachsenweger, M.:
Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 45 - 50, 55
Bibliothek
Scheinbares Schielen
Synonyme:
- Pseudo-Strabismus
Eigenschaften:
- Beim scheinbaren
Schielen liegt keine Abweichung vom normalen
Sehvermögen vor. Ein eventueller Sehschaden ist beim scheinbaren Schielen also nicht vorhanden.
- Scheinbares Schielen
ist ein kosmetisches Problem. Ursache für dieses kosmetische Problem kann
z. B. ein breiter Nasenrücken oder eine Hautfalte am Oberlid eines Auges sein, die man in der
Fachsprache Epikantus nennt. Mitunter wird in Fachpublikationen für die Bezeichnung Epikanthus auch der
Ausdruck Mongolenfalte verwendet.
Aufmerksamkeit dennoch notwendig:
- Die Diagnose
eines scheinbaren Schielens beinhaltet die Information, dass das Augenlicht
normal funktioniert, also eine eventuelle Abweichung vom normalen Sehvermögen erfeulicherweise nicht vorliegt.
Es kann aber sein, dass z. B. bei einem Kind im zweiten Lebensjahr ein scheinbares Schielen
diagnostiziert wird und zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. im dritten Lebensjahr, sich bei diesem Kind dennoch
ein Begleitschielen mit einer Schielamblyopie bzw. mit einer Sehschwäche entwickelt.
Die Entwicklung des Sehvermögens während des Kleinkindalters bedarf also auch im Fall von scheinbaren
Schielen erhöhter Aufmerksamkeit.
verwendete Literatur:
- Sachsenweger, M.:
Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2003, Seite 392
Bibliothek
- Sachsenweger, M.:
Hilfe, mein Kind schielt!. Verlag Gesundheit, Berlin 1998, Seite 45 - 50, 55
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